Aktuelle Ausgrabung «Erneuerung Rheingasse»
SPEKTAKULÄRE FUNDE
aus Kleinbasel
Der Ausbau des Fernwärmenetzes in Kleinbasel wird von der Archäologischen Bodenforschung begleitet und erlaubt Einblicke in die geschichtsträchtige Vergangenheit des Quartiers.
Hier graben wir aus
RheingasseCH-4058 Basel
Die Rheingasse hat eine bewegte Geschichte. Jetzt steht ein neuer Meilenstein bevor. Zwischen 2024 und 2027 werden der Kanton Basel-Stadt und IWB die Infrastruktur sanieren und der Rheingasse ein neues Gesicht geben. Die Tiefbauarbeiten werden von der Archäologischen Bodenforschung begleitet und erlauben Einblicke in die reichhaltige Vergangenheit des Quartiers.
Die Archäologie ist ein Teilprojekt der Erneuerung der Rheingasse und ist entsprechend im Bauablauf eingeplant. Insbesondere die neuen Abschnitte der Fernwärme und Teile der Kanalisation werden in bisher unberührte Bereiche verlegt. Die Basler Bevölkerung wird stets über die neuen archäologischen Erkenntnisse informiert.
Die Gasse liegt in einer archäologischen Zone von nationaler Bedeutung: Vor 3300 Jahren befand sich hier ein bronzezeitliches Siedlungsareal. Die Römer errichteten um 374 n. Chr. ein sogenanntes Munimentum (Kleinfestung) zur Sicherung der Rheingrenze. Gräber mit prunkvollen Beigaben aus dem 6.–8. Jahrhundert an der Riehentorstrasse deuten auf eine frühmittelalterliche Siedlung. Nach dem Bau der ersten Rheinbrücke um 1225 entwickelte sich das mittelalterliche Kleinbasel zur städtischen Siedlung, die mit einer mächtigen Stadtmauer umgeben wurde. Neuzeitliche Gewerbebauten zeugen von der fortschreitenden Modernisierung des Quartiers.
Seit 2021 haben Ausgrabungen aufgrund der Fernwärmeleitungen im Wettsteinquartier immer wieder für Überraschungen gesorgt: Vor allem die unerwartet reich ausgestatteten Gräber des Frühmittelalters, aber auch Funde aus der Bronzezeit, der Spätantike sowie aus dem Mittelalter, die von der Archäologischen Bodenforschung (ABBS) freigelegt wurden, eröffneten neue Einblicke in die Geschichte des Quartiers. Nicht minder bedeutend sind die Entdeckungen, die ab Februar 2024 ans Licht kamen.
Beim Aushub des Hausanschlusses an der Rebgasse 68 fanden sich neben älteren urgeschichtlichen Feuerstellen eine spätbronzezeitliche Grube, die zahlreiche Bruchstücke von Gefässen enthielt. Die Scherben stammen sowohl von Grob- als auch von Feinkeramik aus schwarzem und rot gebranntem Ton, teilweise waren sie mit Mustern verziert und geglättet. Das Formenspektrum umfasst Töpfe, Schalen und Becher. Zu den auffälligsten Stücken zählen Henkelgefässe, zwei beinahe vollständig erhaltene Knickwandbecher sowie zwei einzigartige ovale Schälchen. Auch ein Netzsenker, etliche Knochenbruchstücke, Lehmbrocken und Hitzesteine sowie Fragmente eines sogenannten Mondhorns wurden in der Grube entdeckt. Der Netzsenker deutet auf Fischfang, die Hitzesteine auf den Einsatz von Feuer im Handwerk und Haushalt hin.
Mondhörner werden in der Forschung unterschiedlich interpretiert. Sie erinnern an liegende Mondsicheln oder Rinderhörner. Die gängigste Theorie geht davon aus, dass sie aufgrund ihrer Form, Machart, Merkmale und Befundsituationen Kultobjekte waren, die vielleicht eine kalendarische Funktion hatten. Funde wie die Himmelscheibe von Nebra verdeutlichen, dass die Menschen damals über ein komplexes astronomisches Wissen verfügten. Anhand von Sonne, Sternen und des letzten beziehungsweise ersten sichelförmigen Mondlichts wurden Daten im bäuerlichen religiösen Jahr festgelegt. Möglicherweise wurden Mondhörner eine gewisse Zeit lang im rituellen Kontext verwendet und danach absichtlich zerstört. Weitere Exemplare auf Kantonsgebiet fanden sich bis heute nur bei zwei Ausgrabungen: in der Kleinbasler Kartausgasse und in Riehen an der Inzlingerstrasse.
250 m entfernt in der Utengasse hatte die ABBS bereits 2011 einen ähnlich auffälligen Befund freigelegt. Dort waren sechs bronzezeitliche Gruben mit fragmentierter Gefässkeramik, Lehmbrocken, darunter Teile eines Bronzeschmelzofens, zerbrochene Mahlsteine, Tierknochen und verkohltes Holz zutage gekommen. Es ist anzunehmen, dass auch die neuen Funde aus der Rebgasse im Zusammenhang mit solch einer rituellen Niederlegung stehen und dass die Grube zu einer bronzezeitlichen «Flussufersiedlung» gehörte.
Im 3. Jahrhundert erschütterte eine Reihe von Krisen das römische Reich. Der Druck auf die Grenzen des Imperiums nahm zu. Um 260 n. Chr. wurde dessen Grenze an den Rhein zurückverlegt. In Basel wurde der Münsterhügel mit einer Befestigung umgeben. Sie war Standort römischer Truppen und bot der Zivilbevölkerung Schutz.
Der römische Kaiser Valentinian (321–375 n. Chr.) veranlasste den letzten grossen Ausbau der Befestigungen entlang des Rheins. Im Sommer des Jahres 374 n. Chr. hielt sich der Kaiser in Basel auf und überwachte persönlich die Bauarbeiten. In Kleinbasel liess er eine Festung – ein sogenanntes Munimentum – errichten. Im Zusammenhang mit diesem Bau wird der Name Basilia zum ersten Mal schriftlich erwähnt. Die massiven Mauern des Wehrbaus wurden bereits in den 1970er Jahren ausgegraben. Die Lage eines der Festungstürme ist im Reverenzgässlein mit Pflastersteinen im Strassenbelag markiert. Ein Spitzgraben aus spätrömischer Zeit, der erst kürzlich bei Ausgrabungen in der nahegelegenen Riehentorstrasse freigelegt wurde, trennte einst das Areal des Munimentums von der umgebenden Landschaft.
Um 400 n. Chr. wurden zum Schutz Italiens römische Truppen von den Grenzen an Rhein und Donau abgezogen.
Mitarbeitende der Archäologischen Bodenforschung konnten nun auch in der Rheingasse – nur 25 Meter von der Kleinfestung entfernt – spätrömisches Tafelgeschirr bergen. Diese als «Argonnensigilata» bezeichnete Keramik, benannt nach dem Herstellungsgebiet in den Argonnen, ist typisch für das 4. und 5. Jahrhundert. Sie zeichnet sich zum einen durch einen sehr orangefarbigen Ton, zum andern durch Stempelrädchen-Verzierungen aus, die mit einem Rollstempel aufgetragen wurde. Dazu wurde dieser angefeuchtet und an die Wand des noch nicht ausgehärteten Gefässes gehalten. Anschliessend wurde das Gefäss solange gedreht, bis es durch den sich abrollenden Stempel mit einem gleichmäßigen Muster rundherum verziert war.
In den engen Leitungsgräben an der Riehentorstrasse und an der Kirchgasse kamen in den Jahren 2021 und 2022 18 Gräber zum Vorschein, die zu einem frühmittelalterlichen Gräberfeld an der Riehentorstrasse gehören. Das Gräberfeld ist zwar bereits seit dem 19. Jahrhundert bekannt, die neuen Entdeckungen geben jedoch Hinweise auf die einstige Grösse des Bestattungsplatzes. Einige der Bestatteten haben prunkvolle Beigaben: etwa ein Mädchen mit ca. 380 Glas- und Bernsteinperlen oder eine Frau mit einer goldenen Gewandschliesse. Andere Verstorbene wurden ohne Beigaben, aber in massiven Steinplattengräbern niedergelegt. Insgesamt zeugen die Gräber vom grossen Aufwand, der von den Hinterbliebenen betrieben wurde.
Nicht nur die Grabbauten und Beigaben offenbaren viel über die Toten, auch die Skelette erzählen spannende Geschichten und ermöglichen es den Expert:innen, mehr über das Alter, den Gesundheitszustand und allfällige Verletzungen der Verstorbenen zu erfahren. So zeugt das Skelett eines Schwertkämpfers mit einer verheilten Hiebverletzung im Gesicht nicht nur von den Gefahren früherer Zeiten, sondern gibt auch Auskunft über das Können der frühmittelalterlichen Ärzte. Solche schweren Verletzungen entstellten den Menschen zwar ein Leben lang, sie mussten aber nicht zwingend tödlich enden.
Bei den aktuellen Ausgrabungen in der Rheingasse wurden im Hof des kantonalen Amts für Wirtschaft und Arbeit Überreste von Ziegelbrennöfen entdeckt. Es konnten mindestens zwei Schürkanäle festgestellt werden. In der Verfüllung der Öfen sind Fragmente von Hohlziegeln, sogenannten Nonnen- und Mönchsziegeln, zum Vorschein gekommen, die wahrscheinlich in der einstigen Ziegelei hergestellt wurden.
Die Überreste der Ziegelöfen befinden sich in der östlichen Hälfte des Areals des Amts für Wirtschaft und Arbeit. Sie gehörten zu einer Ziegelei, die hier vor 1462 bestand und zuletzt durch Eberhart von Hiltalingen betrieben wurde. Damit verlagerte sich die Ziegelproduktion der Familie von Hiltalingen vom Gelände des heutigen Hattstätterhofs am Lindenberg weiter ins Stadtinnere.
In der westlichen Hälfte des Areals gab es ab 1363 ebenfalls einen Ziegelhof, der jedoch durch die Stadt betrieben wurde. Der städtische Ziegeleibetrieb wurde 1404 durch den Ankauf von mehreren angrenzenden Parzellen vergrössert. Diverse schreckliche Brandkatastrophen im 14. Jahrhundert bewogen den Stadtrat, im Jahr 1417 Bauvorschriften zur Brandverhütung zu erlassen: So hoffte man, dass Hausbesitzende die Holzschindeln, mit denen die meisten Häuser bis dahin gedeckt waren, eher durch Ziegel ersetzen würden. Die Vergrösserung des Ziegelhofes geschah noch vor diesem Gesetz.
Aus schriftlichen Quellen ist bekannt, dass der heute nicht mehr vorhandene Antonierhof seit 1636 als Gerberei genutzt wurde. Bei den aktuellen Ausgrabungen in der Rheingasse konnten im Hof des Amts für Wirtschaft und Arbeit die Überreste von vier Gerbergruben freigelegt werden. Die kreisrunden Negative weisen einen Durchmesser von 2,5 Metern auf.
Die hölzernen Bottiche sind im Laufe der Zeit längst vergangen, sie haben jedoch ihre Abdrücke im Boden hinterlassen: Gut erkennbar sind die Spuren der Längshölzer, der sogenannten Dauben, sowie der Bindung, die vermutlich aus Weidenruten bestand.
Für den Bau der Bottiche wird eine grosse Baugrube ausgehoben. Danach werden die Holzgefässe in die Grube gesetzt und der Zwischenraum mit Sandsteinbruch verfüllt. In die verbleibenden Hohlräume zwischen Holzwand und Steinmaterial wird dann eine 10–15 cm dicke Mörtelschicht gegossen.
Für welchen Arbeitsschritt der Gerberei die entdeckten Bottiche genau verwendet wurden, kann nicht mehr festgestellt werden. Ethnografische Studien zeigen, dass runde Bottiche vor allem beim Gerbungsprozess eingesetzt werden. Um die vorbereiteten Häute zu konservieren, werden sie bei der Loh- oder Rotgerbung in die sogenannte Lohe getaucht. Die Lohe ist eine Mischung aus zerschnittenen und fein gemahlenen gerbsäurehaltigen pflanzlichen Materialien wie Eichen oder Fichtenrinde und Wasser.
Da verschiedene Arbeitsschritte Gerberbottiche benötigen, brauchte eine Gerberei möglichst viele Gruben. Daher überrascht es nicht, dass Schriftquellen für die Rheingasse zeitweise von 36 Gerbergruben berichten.
Zudem ist die Lage in Wassernähe eine Voraussetzung. Das Wasser für die Gerberei an der Rheingasse wurde aus dem Kanal entlang der Strassenseite in der Utengasse abgezweigt und unter der Rheingasse sowie unter dem gegenüberliegenden Haus hindurch zum Rhein geleitet. Der Gerbereibetrieb bestand bis 1910.
Die Bauarbeiten an der Rheingasse haben im Sommer 2024 beim Lindenberg begonnen und führen in mehreren Etappen bis zur Greifengasse. Bauende wird voraussichtlich 2027 sein.
Basel baut zurzeit die Fernwärme rund um die Rheingasse aus. Im YouTube-Film «Wärme aus der Ferne – Wenn Klimaschutz Geschichte erzählt» schauen wir in die Leitungsgräben und erhalten von Experten der ABBS und der IWB Einblicke ins aktuelle Bauprojekt.
mehr InfosIm Jahresbericht 2022 erfahren Sie mehr über die neuesten Erkenntnisse zum Wettsteinquartier.
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